Wir suchen Verstärkung! Hier geht es zu unseren offenen Stellen.

Podcast: Primastrom, Voxenergie & Nowenergy - Energie zum Abgewöhnen

Stand:
Allen Klagen und Geldstrafen zum Trotz - einzelne unseriöse Unternehmen der Primaholding GmbH versuchen weiterhin, den von steigenden Energiepreisen gebeutelten Verbraucherinnen und Verbrauchern mit verlockend günstigen Abschlagspreisen Geld aus der Tasche zu ziehen. Die Verbraucherzentralen warnen!
Logo des Podcasts "genau genommen" mit der Illustration einer Frau
Off

Darum geht's:

Primastrom, nowenergy, voxenergie - viele Namen, immer die gleiche Abzocke

Wenn es darum geht, die durch die aktuelle Energiekrise finanziell belasteten Verbraucherinnen und Verbrauchern zum Wechsel ihres Energiedienstleisters zu verführen, werden unseriöse Anbieter kreativ. Als besonders beharrlich und effektiv zeigen sich dabei Primastrom, nowenergy und voxenergie, Tochtergesellschaften der Primaholding GmbH, über die sich in den Verbraucherzentralen zahlreiche Beschwerden sammeln. Doch trotz erfolgreicher Abmahnungen und Strafen zu Ungunsten der Anbieter machen sie weiter. Und wir informieren Sie darüber, warum bei einem Anruf dieser Energiedienstleister Auflegen die beste Reaktion ist.

Zu Gast: Hiba El-Biek, Rechtsberaterin bei der Verbraucherzentrale Berlin.

Ob Strom, Gas oder Fernwärme - hier finden Sie den für jede Energieart und Anbieter passenden Abschlagsrechner der Verbraucherzentralen.

genau genommen - Der Podcast der Verbraucherzentralen wird gefördert durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestags.

Wir freuen uns über Lob, Kritik und Themenwünsche per E-Mail an podcast@vz-bln.de. Weitere Informationen finden Sie auf verbraucherzentrale.de.

Transkript

Die ganze Podcastfolge zum Nachlesen

Hier klicken, um das Transkript zu öffnen...

Intro (Patrick Lohmeier):

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine beschert uns seit Februar 2022 Energiepreise, wie sie in Europa seit Jahrzehnten nicht erlebt wurden. Gas, Benzin, Strom, aber auch die hohen Preise für Lebensmittel und andere Produkte des täglichen Bedarfs belasten die Haushaltskassen. Dabei hatten wir uns noch nicht einmal von den zusätzlichen Ausgaben für Heiz- und Stromkosten erholt, mit denen viele von uns während der Corona-Pandemie im Homeoffice zu kämpfen hatten. Was ich eigentlich sagen möchte: Hohe Ausgaben für Energiedienstleister sind kein alleiniges Phänomen der letzten anderthalb Jahre, sondern ein dauerhaftes Ärgernis, das in Mietwohnungen, Eigenheimen und Lauben seit jeher für Gesprächsstoff sorgt. Mittlerweile bereitet es vielen Menschen große Sorgen, wenn die Rechnungsbeträge immer weiter steigen und möglicherweise die finanzielle Belastung über den Kopf wächst. Dieser Umstand eröffnet unseriösen Anbietern Tür und Tor, die genau diese Belastung und Unsicherheit der Verbraucherinnen und Verbraucher ausnutzen. Eine besonders perfide Fall wird heute von meiner Kollegin Hiba El-Biek berichtet. Sie kümmert sich bei der Verbraucherzentrale Berlin um Opfer der Betrugsmasche der Stromlieferanten des Primaholding-Konzerns. Ein Unternehmen, das seinen Kundinnen und Kunden preiswerten Strom verspricht, aber entgegen seiner Behauptung noch tiefer in die Taschen greift. Sie merken schon, unsere heutige Folge bietet kein Thema für gute Laune. Unseriöse Energieanbieter agieren trotz Bußgeldern und rechtlicher Schritte seitens der Bundesnetzagentur und Verbraucherzentralen weiterhin in allen Regionen Deutschlands. Es ist unsere Pflicht, Sie über dieses skrupellose Geschäftsmodell zu informieren und Sie davor zu schützen. Aber genug der Vorrede, nun zum Expertengespräch über dieses wirklich energieraubende Thema. Sie hören genau genommen, mein Name ist Patrick Lohmeier und alles weitere erfahren Sie von meiner Kollegin Hiba El-Biek.

Patrick Lohmeier:

Hiba, sag uns doch bitte, was du bei der Verbraucherzentrale Berlin tust?

Hiba El-Biek:

Ich bin seit Mai letzten Jahres Rechtsberaterin bei der Verbraucherzentrale Berlin. Anfangs habe ich im Bereich allgemeines Verbraucherrecht beraten, und seit August letzten Jahres befasse ich mich auch mit dem Energierecht.

Patrick Lohmeier:

Heute sprechen wir über eine besonders betrügerische Masche. Schon als wir uns im Vorfeld über das Thema unterhielten, klang es fast wie eine Episode eines True Crime Podcasts. Aber lass uns zunächst allgemein in das Thema einsteigen, bevor wir uns auf einen speziellen unseriösen Energieanbieter konzentrieren. Gibt es aus deiner Arbeit der letzten Monate grundlegende Erkenntnisse darüber, wie unseriöse Energieanbieter die starken Preisanstiege zu ihrem Vorteil ausnutzen?

Hiba El-Biek:

Ja, unter dem Vorwand der Energiepreiskrise haben die Anbieter versucht, Verbraucher mit niedrigen Preisen und Abschlägen zu locken, insbesondere durch telefonische Akquise. Wenn ein Verbraucher am Telefon hört, dass er statt 80 € nur noch 60 € zahlen müsste, zählt jeder Cent, und so nutzen die unseriösen Anbieter dies aus.

Patrick Lohmeier

Gibt es belastbare Zahlen dazu, wie weit verbreitet solche Maschen sind, also sogenannte Cold Calls, bei denen verlockende Angebote gemacht werden und die dann schlecht enden? Wie weit reicht der Einfluss dieser Masche?

Hiba El-Biek:

Also, konkrete belastbare Zahlen gibt es nicht. Ich kann nur von der Verbraucherzentrale Berlin berichten. Seit Anfang des Jahres haben wir etwa 80 Fälle registriert, die sich um untergeschobene Verträge drehen. Insgesamt haben wir 150 Fälle dokumentiert, die auch unzulässige Preissteigerungen umfassen, einschließlich der Musterfeststellungsklage gegen die Primastrom GmbH mit 136 Verbrauchern, die sich für die Klage angemeldet haben, und etwa 406 Fälle bei Voxenergie. Aufgrund der vielen Beschwerden haben wir zusätzliche Beratungskapazitäten geschaffen, speziell für die Primaholding, obwohl wir als neutrale Anbieter eigentlich keine Partei ergreifen. Wir haben uns dennoch entschieden, diese speziellen Beratungskapazitäten einzuführen, um den Beschwerden der Verbraucher gerecht zu werden.

Patrick Lohmeier:

Diese Zahlen sind schon relativ beeindruckend und auch erschreckend. Man muss jedoch davon ausgehen, dass die Dunkelziffer noch um ein Vielfaches größer ist. Die dokumentierten Fälle, die uns vorliegen, sind nur die Spitze des Eisbergs. Mutmaßlich sind wahrscheinlich noch tausende weitere Menschen betroffen.

Hiba El-Biek:

Dem kann ich zustimmen.

Patrick Lohmeier:

Oh je, warum sprechen wir denn heute über die Firma Primaholding oder Primastrom? Sind die Unternehmensnamen austauschbar oder macht es einen Unterschied?

Hiba El-Biek:

Es gibt mehrere Tochterunternehmen. Die Muttergesellschaft ist die Primaholding GmbH, zu der auch die Voxenergie GmbH und die Primastrom GmbH gehören. Neuerdings gehört auch die Nowenergy GmbH dazu. Das sind die drei Anbieter, mit denen wir uns hier befassen und bei denen wir eindeutig unlautere Geschäftspraktiken dokumentiert haben.

Patrick Lohmeier:

Jetzt haben wir bereits die Primaholding als Unternehmen erwähnt und angeteasert. Was ist das denn für eine Firma? Ist sie ordnungsgemäß im Handelsregister eingetragen und erfüllt alle rechtlichen Anforderungen?

Hiba El-Biek:

Ja, die Primaholding ist eine GmbH und ordnungsgemäß registriert. Wir können einen Handelsregistereintrag einsehen. Das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass sie auch legal arbeitet.

Patrick Lohmeier:

Du hattest bereits erwähnt, dass Primastrom, Voxenergie und Nowenergy bevorzugt über Anrufe Kontakt zu potenziellen Kundinnen und Kunden aufnehmen. Ist das überhaupt legal?

Hiba El-Biek:

Telefonwerbung ist nur dann erlaubt, wenn zuvor die Einwilligung des Verbrauchers oder der Verbraucherin vorliegt. Ob diese Unternehmen tatsächlich eine solche Einwilligung erhalten haben, wissen wir nicht. Viele Verbraucher berichten, dass sie niemals eine Einwilligung gegeben haben. Es ist jedoch unklar, wie diese Daten überhaupt weitergegeben wurden. Tatsächlich erfolgt alles durch diese telefonische Akquise, die als unzulässige Telefonwerbung bezeichnet wird. Wie bereits erwähnt, sollten solche Fälle von Cold Calls gemeldet werden. Die Verbraucher haben die Möglichkeit, diese Fälle bei der Bundesnetzagentur als Aufsichtsbehörde für die Energieversorgung zu melden, entweder per E-Mail oder durch schriftliche Beschwerde. Diese Fälle werden verfolgt, und es können Strafen von bis zu 300.000 € verhängt werden.

Patrick Lohmeier: Kurze Zwischenfrage, Hiba, da du gerade die Bundesnetzagentur erwähntest. Wie geht die gegen unseriöse Energieanbieter vor?

Hiba El-Biek: Die Bundesnetzagentur ist die Aufsichtsbehörde der Energieversorger und hat ein Aufsichtsverfahren eingeleitet, weil es so viele Beschwerden über die Preissteigerungen bei Primastrom gab. Und im September 2022 kam es zu dem Ergebnis, dass die Preiserhöhungen in den Schreiben von Primastrom und Voxenergie vom 28. Dezember 2021 unzulässig waren, denn die Ankündigungsfrist war weniger als der vorgeschriebene Monat. Es war sogar nur drei Tage. Und deswegen wurde von der Aufsichtsbehörde eine Strafe von 100.000 € verhängt.

Patrick Lohmeier: Okay. Das lässt uns wohl mit der ungeklärten Frage zurück, inwiefern diese Strafe dem Unternehmen wirklich weh tut, diese 100000 €. In jedem Fall ist es ein berechtigter Denkzettel. Aber noch einmal einen Schritt zurück. Wenn ich jetzt nicht auf diesen Cold Call der Stromfirmen der Primaholding mit Auflegen reagiert habe oder ihn zur Anzeige gebracht habe, was habe ich bei dem Anruf des Unternehmens zu erwarten?

Hiba El-Biek:

Ja, wir können nur durch die Erzählungen der Verbraucherinnen und Verbraucher Rückschlüsse ziehen. Sie geben sich auch nicht als Primaholding, Primastrom GmbH, Voxenergie GmbH oder Nowenergy GmbH aus. Oft behaupten sie, Angestellte von Vattenfall oder der Energieschutz-Zentrale zu sein. Natürlich haben wir keine konkreten Nachweise dafür, aber dies basiert auf den Erzählungen der Verbraucherinnen und Verbraucher. Am Anfang stellen sie immer die Frage, wie viel die Verbraucherinnen und Verbraucher für Strom oder Gas zahlen. Sobald der Verbraucher eine Zahl nennt, egal wie hoch, sagen sie, dass sie es zu einem viel geringeren Preis anbieten können. Dadurch wird das Interesse des Verbrauchers geweckt. Sie nennen dann pauschal einen Abschlag. Natürlich sind Verbraucherinnen und Verbraucher immer daran interessiert, weniger zu zahlen, selbst wenn es nur 1 € oder 2 € sind.

Patrick Lohmeier:

Okay, das sind schon zwei Punkte, bei denen ich mich frage, ob das überhaupt legal ist. Zum einen, wie kommen sie an diese Adressen und Telefonnummern von Menschen, die sie anrufen? Und dann geben sie sich auch noch als Unternehmen aus, in diesem Fall Vattenfall, und behaupten, sie rufen im Auftrag an eines bekannten Energiekonzerns XY an. Das klingt für mich schon sehr zwielichtig. Dennoch bleibe ich dran, wie gesagt. Was passiert dann? Versuchen sie, mich zu einem Vertragsabschluss zu drängen?

Hiba El-Biek:

In der Tat versuchen sie durch die Angabe eines niedrigen Abschlags die Verbraucherinnen und Verbraucher dazu zu bringen, einem Vertragsabschluss zuzustimmen. Es gibt auch vorsichtige Verbraucher, die sagen: "Lassen Sie mir das Angebot bitte schriftlich zukommen." Denn es kann kein Vertragsabschluss durch eine rein mündliche Zustimmung erfolgen. Durch eine Zusage am Telefon kommt kein Vertrag zustande.

Patrick Lohmeier:

Aber Primastrom und die anderen genannten Anbieter versuchen ja, rechtsverbindliche Verpflichtungen von mir zu bekommen. Wie wollen sie das erreichen?

Hiba El-Biek:

Leider geben viele Verbraucher am Telefon ihre Daten weiter, wie zum Beispiel die Zählernummer, den Zählerstand und vielleicht auch die Adresse der Entnahmestelle. Dadurch haben diese Anbieter sofort die wichtigsten Daten und können nach dem geführten Telefonat bereits einen Vertrag aufsetzen und verschicken. Es ist klar zu sagen, dass durch mündliche Zusagen kein Vertrag abgeschlossen wird. Diese unseriösen Anbieter versuchen jedoch, sich auf irgendeine Weise abzusichern, indem sie den Verbrauchern während des Telefonats eine SMS schicken oder sogar nach dem Gespräch eine E-Mail schicken. In dieser E-Mail oder SMS werden die Vertragsbedingungen festgehalten, und man soll einer Zustimmung zustimmen. Einfach mit einem "Ja" antworten und dem Namen, und allein durch diese Bestätigung oder Zustimmung wird ein Vertrag wirksam abgeschlossen.

Patrick Lohmeier:

Also bedeutet das in diesem Fall, dass auch schriftliche Formen wie SMS, iMessage oder WhatsApp-Nachrichten möglicherweise einen Vertragsabschluss darstellen, wenn ich sie einfach nur mit "Ja" bestätige?

Hiba El-Biek:

Ja, der Gesetzgeber sagt ganz klar, dass für den Abschluss eines Energielieferungsvertrags die Textform ausreicht. Textform bedeutet wirklich Abschluss per SMS, Fax, Brief, E-Mail und alle anderen Formen, die eine Unterschrift unter einem Formular beinhalten. Es gilt die Schriftform.

Patrick Lohmeier:

Okay, das ist jetzt schon die dritte Stelle, an der eigentlich alle Alarmglocken losgehen sollten. Aber ich bin trotzdem weiterhin empfänglich für das vermeintlich tolle Angebot von Primastrom und schieße alle Bedenken in den Wind. Ich bleibe dran und antworte mit "Ja" auf diese E-Mail, diese WhatsApp oder diese SMS. Was passiert dann? Habe ich jetzt einen Vertrag mit ihnen abgeschlossen?

Hiba El-Biek:

Es ist zu beachten, dass durch die Bestätigung dieser SMS oder E-Mail ein wirksamer Vertrag abgeschlossen wurde. Das bedeutet jedoch nicht, dass ich keine Möglichkeit habe, mich vom Vertrag zu lösen. Bei einem Vertrag, den ich am Telefon abschließe, also im Fernabsatz, kann ich immer den Vertrag widerrufen. Die Widerrufsfrist beginnt grundsätzlich mit dem Vertragsschluss. Allerdings erst, nachdem der Verbraucher ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht belehrt wurde. Die Widerrufsfrist beträgt 14 Tage. Mein Appell hier ist also, dass sobald ich bemerke, dass ich am Telefon etwas bestätigt habe, was nicht hätte sein sollen, oder später eine SMS bestätigt habe, dass ich dann sofort reagiere und den Widerruf erklären sollte. Am besten in Textform, zum Beispiel mit einem Einschreiben.

Patrick Lohmeier:

Was ist, wenn ich jetzt diesen Vertrag mit den neuen Konditionen zugeschickt bekomme und immer noch der Meinung bin, dass es besser klingt, also günstiger als bei meinem aktuellen Energieanbieter? Ich bleibe dabei, unterschreibe das und schicke es zurück, ohne den Widerruf zu erklären. Was passiert dann? Wohin kann ich mich wenden oder was habe ich zu befürchten? Letzteres ist wohl die bessere Frage hier.

Hiba El-Biek:

Nun, wenn ich das so ungeschehen lasse, kommt es idealerweise zur Belieferung. Wenn der Versorger Glück hat, ist der Vertrag mit dem alten Anbieter schon bald beendet und der neue Versorger kann mit der Belieferung beginnen. Mit der Belieferung ist der Vertrag abgewickelt worden.

Patrick Lohmeier:

Aber wahrscheinlich werde ich mit höheren Kosten rechnen müssen, als ich es mir vorgestellt habe. Das ist das, was die ganze Zeit so ein bisschen mitschwingt, deshalb bezeichnen wir sie auch als unseriöse Energieanbieter und nicht als eine alternative Option zu meinem aktuellen Energieanbieter.

Hiba El-Biek:

Sobald die Lieferung erfolgt, wird es schwierig sein, aus dem Vertrag auszusteigen. Die Verbraucher bemerken dies erst, wenn die Abschläge von ihrem Konto abgebucht werden. Dann stellen sie fest, dass der am Telefon vermittelte Abschlag deutlich zu hoch ist. Beim ersten Mal kann man vielleicht noch ein Auge zudrücken, aber beim zweiten Abbuchungsvorgang schrillen bereits die Alarmglocken, und der Verbraucher erkennt, dass etwas schiefgelaufen ist. Besonders problematisch ist, dass während des Telefonats nur über den Abschlag gesprochen wird, ohne konkrete Angaben zu den Grund- oder Arbeitspreisen. Selbst wenn der Verbraucher später ein Schriftstück erhält, das die Arbeits- und Grundpreise enthält, sind diese Parameter für ihn nicht greifbar, da der Fokus immer nur auf dem Abschlag liegt. Es wird auch nicht klar angegeben, welche Kosten im Abschlag enthalten sind. Der Verbraucher weiß nicht genau, welcher Teil des Abschlags tatsächlich für den Grundpreis, den Arbeitspreis und den Verbrauch des Vorjahres berechnet wird. Dies wird erst deutlich, wenn die Abschläge vom Konto abgebucht werden.

Patrick Lohmeier:

Sehr interessant, tatsächlich. Das, was mir auf dem Papier mitgeteilt wird oder in der E-Mail steht, muss nicht unbedingt dem entsprechen, was am Ende des Monats von meinem Konto für den neuen Energieanbieter abgebucht wird.

Hiba El-Biek:

Viele Verbraucher berichten davon, dass am Telefon ein bestimmter Abschlag vereinbart wurde und später ein deutlich überhöhter Abschlag berechnet wird.

Patrick Lohmeier:

Ich muss immer wieder zwischendrin fragen, ob das juristisch noch akzeptabel ist oder wie man das bewerten soll. Befinden wir uns bereits in einer rechtlichen Grauzone oder gar im Schwarzen? Oder sagt man, dass es schwer ist, dagegen anzugehen?

Hiba El-Biek:

Ganz klar gilt, wenn ich am Telefon einen Vertrag abschließe oder meine Zustimmung zu Vertragskonditionen gebe, wird es schwierig sein, dies nachzuweisen. Wenn ich jedoch ein Schriftstück, eine SMS oder eine E-Mail erhalten habe, das ich bestätigt habe, gibt es Parameter, an denen man sich festhalten kann. Aber das bedeutet nicht automatisch, dass alles in Ordnung ist. Man kann immer noch vorgehen, indem man dem Anbieter mitteilt, dass der abgebuchte Abschlag deutlich höher ist als vereinbart. Wenn ich vereinbart habe, dass ein bestimmter Abschlag abgebucht wird, muss dieser auch abgebucht werden. Wenn ich jedoch feststelle, dass der Abschlag nicht stimmt, kann ich immer eine sogenannte Abschlagsanpassung verlangen. Dafür muss ich dem Versorger schriftlich mitteilen, was mein Jahresverbrauch war und unter Berücksichtigung der vereinbarten Grund- und Arbeitspreise. Falls jedoch kein bestimmter Grund- und Arbeitspreis vereinbart wurde, muss man schauen, was der Marktwert ist.

Patrick Lohmeier:

Ah, gut zu wissen, dass man in solchen Fällen nicht auf die Auskunft des vorherigen Energieversorgers angewiesen ist, sondern sich im Fall der Fälle auch auf die aktuellen Marktwerte für Strom, Gas oder andere Energieformen berufen kann, die man kurzfristig aus verlässlichen Quellen recherchieren kann.

Hiba El-Biek:

Genau, der Widerruf ist erklärt worden,  aber der Verbraucher wurde nicht ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht belehrt, dann muss man den vereinbarten Grund- und Arbeitspreis zahlen. Und wenn die nicht vorliegen, gilt der Marktwert.

Patrick Lohmeier:

Ich merke schon, dass wir mit vielen Variablen und verschiedenen Szenarien zu kämpfen haben, die wahrscheinlich individuell bewertet werden müssen. Auf jeden Fall: Es ist mehr Geld von meinem Konto abgegangen, als ich gehofft hatte, da ich ja Geld sparen wollte mit diesem neuen Energieanbieter. Jetzt muss ich draufzahlen oder habe einen Vertrag, aus dem ich nicht mehr herauskomme. Aber ich möchte da rauskommen. Was passiert, wenn ich ordentlich kündige? Womit muss ich dann rechnen?

Hiba El-Biek:

Wir empfehlen immer, alles schriftlich zu beanstanden und per Einschreiben zu versenden, damit man später den rechtlichen Nachweis für den Zugang hat. Wenn festgestellt wird, dass Abschläge abgebucht wurden, die nicht vereinbart waren, kann man diese innerhalb von acht Wochen zurückbuchen lassen und nur den vereinbarten Abschlag zahlen. Eine Alternative ist auch unser sogenannter Abschlagsrechner auf unserer Webseite. Dort kann man den Grundpreis, den Arbeitspreis und den Vorjahresverbrauch eingeben, und er berechnet den zu zahlenden Abschlag.

Patrick Lohmeier:

Ich werde den Link zum Abschlagsrechner in den Beitragstext zu dieser Episode schreiben. Das ist auf jeden Fall ein sehr hilfreiches Tool. Ich kann mir vorstellen, dass die Tochterunternehmen der Primaholding, die sich ja am Telefon oft als ganz andere Firmen ausgeben, nicht damit zufrieden sind und weiterhin versuchen werden, die Kunden auszunutzen. Gibt es da noch Folgemaschen, auf die du hinweisen möchtest?

Hiba El-Biek:

Ja, die Beschwerden in der Verbraucherzentrale können in drei Gruppen unterteilt werden. Zum einen gibt es viele Beschwerden über vermeintliche Vertragsabschlüsse, bei denen Verbraucher überhaupt keine Willenserklärung in Textform abgegeben haben. Hier gibt es Probleme. Dann gibt es auch Probleme während der Vertragsabwicklung. Das bedeutet, dass Verbraucher einem Vertragsverhältnis mit den vereinbarten Preisen zugestimmt haben, aber plötzlich im sechsten oder siebten Monat der Belieferung feststellen, dass anstelle von 100 € plötzlich 170 € abgebucht wurden. Der Hintergrund hierfür ist, dass es eine Preissteigerung oder Preisänderung gab. Im dritten Bereich gibt es Beschwerden bezüglich der Vertragsbeendigung. Es gibt Betroffene, die aufgrund einer Preissteigerung beispielsweise eine außerordentliche Kündigung erklären wollten, und die jeweiligen Energieanbieter stellen sich quer und behaupten, dass diese außerordentliche Kündigung nicht rechtzeitig oder fristgerecht eingegangen ist.

Patrick Lohmeier:

Ach so, zu der dritten Gruppe habe ich noch eine kurze Frage. Wann habe ich als Verbraucher das Recht zur außerordentlichen Kündigung und was muss dafür geschehen?

Hiba El-Biek:

Im Rahmen eines Energielieferungsvertrags ist es so, dass der Versorger berechtigt ist, Preise zu ändern. Für diese Preisänderung ist jedoch eine rechtmäßige Regelung im Vertrag erforderlich, beispielsweise in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Nur wenn diese wirksam in den Vertrag einbezogen ist, also diese Preisänderungsklausel oder Preisvorbehaltsklausel, wie auch immer sie im Vertrag genannt wird oder in den AGB, wäre der Versorger berechtigt, die Preise zu ändern. Auch wenn er die Preise ändern oder erhöhen sollte, muss er diese Preiserhöhung dem Verbraucher mitteilen. Diese Mitteilung muss ebenfalls in Textform erfolgen und das Preisänderungsschreiben muss dem Verbraucher einen Monat vor der Wirksamkeit der Preiserhöhung mitgeteilt werden.

Patrick Lohmeier:

Okay, und wenn das nicht innerhalb von 30 Tagen geschieht, habe ich auch das Recht zu sagen, dass ich sofort aus dem Vertragsverhältnis aussteige. Das wird als Sonderkündigungsrecht bezeichnet, und das bedeutet, dass ich sofort aus dem Vertrag aussteige, bevor die neue Preisänderung wirksam wird?

Hiba El-Biek:

Genau, bei einer Sonderkündigung bleibe ich im Vertrag, bevor die neue Preisänderung wirksam wird, und ab dem Tag der Preiserhöhung bin ich dann aus dem Vertrag draußen.

Patrick Lohmeier:

Ah, okay, alles klar. Du hast mir bereits davon berichtet, und ich war wirklich schockiert, weil ich dachte, dass schon schlimm genug ist. Aber du hast mir erzählt, dass es Fälle gibt, bei denen es nicht damit getan ist, dass der Energieanbieter, in diesem Fall Primastrom, Voxenergie oder Nowenergy, einfach zustimmt und sagt: "Okay, lass den Kunden gehen." Sie treten unter dem Namen anderer Anbieter auf und versprechen, wenn ich es richtig verstanden habe, den Kunden wiederum das Blaue vom Himmel.

Hiba El-Biek:

Wir wissen nicht genau, wer diese Menschen sind, aber sie geben sich als Verbraucherhelfer aus und behaupten gegenüber den Verbrauchern, dass sie ihnen helfen, aus dem Vertrag auszusteigen. Die Behauptung: Sie müssen nur einmalig 150 € für diese Dienstleistung bezahlen, und dann werden Sie aus dem Vertrag befreit.

Patrick Lohmeier:

Und das basiert auch auf Erfahrungsberichten, die dir in deiner Beratungstätigkeit bei der Verbraucherzentrale Berlin begegnen.

Hiba El-Biek:

Genau, wir haben keine konkreten Nachweise dafür. Das stützt sich auf Berichte von Verbraucherinnen und Verbrauchern.

Patrick Lohmeier:

Okay, es wird also nicht besser, und wir tun etwas dagegen. Nicht nur die Verbraucherzentrale Berlin, sondern auch andere Verbraucherzentralen in ganz Deutschland. Du hast vorhin kurz die zahlreiche Musterfeststellungsklage erwähnt. Was passiert denn da gerade?

Hiba El-Biek:

Der Verbraucherzentrale Bundesverband hat im Oktober Klage gegen die Voxenergie GmbH und die Primastrom GmbH eingereicht. Es handelt sich dabei um die sogenannte Musterfeststellungsklage, die sich jedoch nur auf die unzulässigen Preiserhöhungen bezieht, über die ich vorhin gesprochen habe. Primastrom hat die Energiekrise ausgenutzt, indem sie einfach die Preise und Abschläge erhöht haben. Sowohl der Bundesverband als auch wir sind der Ansicht, dass Primastrom und Voxenergie GmbH keine legitime Rechtsgrundlage dafür haben. In den abgeschlossenen Verträgen wurden fehlerhafte eingeschränkte Energiepreisgarantien vereinbart, und trotzdem wurden die Preise erhöht, was nicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Wenn eine Preisgarantie vereinbart ist, sollten die Preise eingehalten werden und nicht einfach aufgrund der Preiskrise ad hoc geändert werden.

Patrick Lohmeier:

Das ist für mich als juristischen Laien sehr interessant. Wo liegt der rechtliche Hebel, an dem man tatsächlich ansetzen kann? Denn ich habe schon mehrmals gefragt, ob das legal ist, woher sie die Telefonnummern bekommen, was sie versprechen und ob sie diese Versprechen einhalten. Gibt es juristische Möglichkeiten, um gegen solche unseriösen Anbieter vorzugehen, damit es gar nicht erst so weit kommt? Und wie können Menschen sich als Teil dieser Musterfeststellungsklage wiederfinden und ihr Geld juristisch zurückfordern? Was sind grundsätzliche Tipps, die du mir geben kannst, wenn mich jemand anruft und behauptet: "Wir sind von einem Energieunternehmen, das du bereits kennst." Wie soll ich mich am Telefon verhalten? Einfach auflegen?

Hiba El-Biek:

Unser Appell ist hier wirklich, einfach aufzulegen. Wenn ich merke, dass mein Gesprächspartner versucht, mir heimlich einen Vertrag unterzuschieben oder mir die politische Lage erklären möchte, um mich zu einem Vertragsabschluss zu bewegen, bitte ich Sie, liebe Verbraucherinnen, einfach aufzulegen. Geben Sie bitte keine Bankdaten, Adressen oder Zählernummern weiter. Der Grundsatz lautet: Bitte legen Sie einfach auf.

Patrick Lohmeier:

Okay, und das kann man sich ja relativ einfach merken, trotz der komplizierten Sachlage. Einfach auflegen geht schnell und ist das effektivste Mittel, um solchen Problemen mit unseriösen Energieanbietern vorzubeugen. Vielen Dank für deine Expertise, Hiba!

Hiba El-Biek:

Danke für die die Möglichkeit!

Outro (Patrick Lohmeier):

Wie gewohnt gilt mein Dank all jeden Menschen, die die Produktion dieser Podcastreihe ermöglichen. Und ich möchte mich bei Ihnen für Ihr Interesse bedanken. Diese und weitere Folgen von genau genommen können Sie in so gut wie allen Podcatchern und Audio Apps hören. Abonnieren Sie uns gerne kostenlos bei Spotify, Apple, Deezer, Google Podcasts, Pocket Casts oder in einer anderen mobilen App Ihrer Wahl. Und empfehlen Sie uns weiter, falls Ihnen genau genommen gefällt. Weitere Informationen, Tipps und Ansprechpartner*innen zum Thema unseriöse Energieanbieter finden Sie unter www.verbraucherzentrale.de. In ein paar Tagen gibt es eine neue Podcastfolge rund um Ihre Verbraucherrechte. Bis dahin erreichen Sie mich für Feedback und Themenwünsche per E-Mail an podcast@vz-bln.de. Dies war genau genommen – Der Podcast der Verbraucherzentralen, mein Name ist Patrick Lohmeier und freue mich aufs Wiederhören

 

Lob, Kritik, Fragen und Themenwünsche können Sie gerne an podcast@vz-bln.de schicken!

BMUV-Logo

Schreiben Sie einen Kommentar

Wir können keine Anbieternennungen veröffentlichen. Sie werden gegebenenfalls von uns gelöscht oder durch neutrale Bezeichnungen ersetzt.

Die Verbraucherzentrale nutzt und speichert die in diesem Kommentarfeld erhobene E-Mail-Adresse ausschließlich für die Bearbeitung Ihres Kommentars im Forum. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht.

Sie haben das Recht, Ihre Einwilligung jederzeit mit Wirkung für die Zukunft zu widerrufen, z.B. per E-Mail an die Adresse datenschutz@verbraucherzentrale.nrw. Weitere Informationen zum Datenschutz finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen.

*Pflichtfelder

Danke für die Beratung

Nowenergy legt schon einen vorgefertigten Vertrag vor ...

und ich habe leider am Bildschirm zugestimmt! Habe aber den Vertrag 2 Tage später gekündigt! Per

 Einschreiben habe ich aber 3 Tage später eine Kündigung erteilt! Diese Kündigung wäre aber angeblich nicht erhalten  - nun soll der  Vertrag per 01.11.2024  Gültigkeit bekommen!

Habe ich noch eine Chance den Vertrag nicht anzunehmen`?

Sehr geehrte Frau Hofmann,

wenden Sie sich für eine Beratung bitte an eine Verbraucherzentrale in Ihrer Nähe. Wir können auf diesem Wege leider keine Auskunft zu spezifischen Rechtsfragen geben.

Fernbedienung wird auf Fernseher gerichtet

Klage wegen service-rundfunkbeitrag.de gegen SSS-Software Special Service GmbH

Die SSS-Software Special Service GmbH macht auf service-rundfunkbeitrag.de nicht ausreichend kenntlich, dass sie Geld für eigentlich kostenlosen Service verlangt. Der Verbraucherzentrale Bundesverband klagt vor dem OLG Koblenz auf Unterlassung und hat eine Sammelklage eingereicht.
Grafische Darstellung einer Frau, die ungeduldig auf ihre Armbanduhr schaut. Rechts daneben befindet sich das Logo von Cleverbuy, darunter eine Grafik von einem Smartphone, von der ein roter Pfeil auf einen Stapel Euroscheine führt. Rechts daneben befindet sich ein großes, rotes Ausrufezeichen, in dem "Warnung" steht.

Warnung vor Cleverbuy: Auszahlung lässt auf sich warten

"Clever Technik kaufen und verkaufen" heißt es auf der Website der Ankaufplattform Cleverbuy. Gar nicht clever ist die oft lange Zeit, die verstreicht, bis Nutzer:innen ihr Geld für Smartphone und Co. ausgezahlt bekommen. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) warnt daher vor dem Anbieter.
Besorgt dreinblickender Mann, der auf seine Kreditkarte schaut, während er mit seinem Mobiltelefon spricht.

Der vzbv stellt fest: Banken tun nicht genug gegen Kontobetrug

Opfer von Kontobetrug bleiben in vielen Fällen auf dem Schaden sitzen, denn: Banken werfen ihnen grobe Fahrlässigkeit vor. Aus Sicht des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) müssten Banken jedoch mehr tun, um Verbraucher:innen zu schützen.