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Genussvoll essen will gelernt sein

Stand:
Kinder lernen essen Schritt für Schritt. Positive Esserfahrungen in angenehmer Atmosphäre mit wohlwollenden Menschen prägen ein gutes Essgefühl und gesundheitsförderndes Essverhalten ein Leben lang.
Ein Mädchen sitzt am Tisch und isst mit der Hand verschiedene Gemüse von einem Teller

Das Wichtigste in Kürze:

  • Die Geschmacksentwicklung beginnt bereits während der Schwangerschaft.
  • „Süßes“ spricht Kinder an, weil es schnell Energie liefert und in der Natur zumeist ungiftig ist.
  • Bitterer oder saurer Geschmack kann ein Hinweis auf verdorbene und giftige Lebensmittel sein und wird deshalb abgelehnt.
  • Positives Erleben von Ess-Situationen gibt Sicherheit und fördert die Offenheit für neue Lebensmittel.
  • Durch Vorleben können Erwachsene Mut machen und positive Gefühle prägen.
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Die Prägung des Geschmacks beginnt im Mutterleib

Die Geschmacksprägung beginnt bereits sehr früh. Schon im Mutterleib kann ein Kind verschiedene Geschmäcker wahrnehmen. Über das Fruchtwasser, das das Kind schluckt, und durch die Versorgung mit Nährstoffen über die Nabelschnur lernt das Kind die natürlichen Aromen aus der Nahrung der Mutter kennen. So findet bereits vor seiner Geburt durch die Lebensmittelauswahl der Mutter eine Prägung des Familiengeschmacks statt.

In den ersten Lebensmonaten werden Babys mit Muttermilch oder Säuglingsnahrung versorgt. Diese ist nahrhaft, hat einen süßlichen Geschmack und wird meist in Nähe zu einem vertrauten Menschen genossen. Süß ist damit die erste Geschmacksnuance, die Kinder in positiver Atmosphäre kennenlernen. Es wird im weiteren soziokulturellen Lernprozess, der ein Leben lang anhält, bestimmt, ob die Vorliebe für „süß“ bestehen bleibt. Viele Faktoren von außen – Lebensmittelabgebote, Esserziehung und Ernährungsbildung – aber auch das Beobachten von Erwachsenen beeinflussen diesen Prozess.

Der Geschmack der Muttermilch ist durchaus abhängig von der Ernährung der Mutter: Nach dem Essen gehen die Aromen der Nahrungsmittel in die Muttermilch über. Je abwechslungsreicher sich die Mutter ernährt, um so unterschiedlicher sind also die Geschmackserfahrungen der gestillten Kinder. Diese greifen später mitunter mutiger zu neuen Speisen, was darin vermutet wird, dass sie in der Stillzeit bereits unterschiedliche Geschmacksrichtungen kennengelernt haben.

In der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres lernt das Kind im Rahmen der Beikost-Einführung neue Geschmäcker, Konsistenzen und Ess-Situationen kennen. Der Rahmen verändert sich, denn die Kinder sitzen mehr und mehr alleine und der Körperkontakt zu Bezugspersonen beim Essen wird weniger, sie lernen Besteck und Geschirr zu verwenden und das Essen sieht immer anders aus. Die Kinder müssen sich erst an diese neue Situation gewöhnen. Bis es diese akzeptiert, braucht es mitunter einige Anlaufversuche, denn bisher kennt das Kind nur die (Mutter-)Milch. Durch beziehungsstarke Sicherheit, etwa auf dem Schoß einer Bezugsperson, kann das Kind neue Lebensmittelangebote ausprobieren und an eine neue Speisenform herangeführt werden.

Kinder sind wahre Feinschmecker

Kinder haben deutlich mehr Geschmacksknospen als Erwachsene und nehmen Aromen viel intensiver wahr. Während für Erwachsene Gemüse schon einmal fade schmeckt, erleben dies Kinder viel intensiver. Deshalb ist es ratsam, dass man nicht nach dem eigenen Geschmack, sondern nur sehr vorsichtig würzt.

Idee Glühlampe Starten Sie mit einem neuen Lebensmittel und ergänzen dieses, sobald es bekannt und akzeptiert ist. Kombinieren Sie das neue Lebensmittel mit Bekanntem, dann steigt die Wahrscheinlichkeit der Akzeptanz. Dies gilt für alle Altersphasen der Kinder.

Am Beispiel Nudeln mit Tomatensoße ist dies gut erkennbar. Die meisten Kinder essen dieses Gericht sehr gerne: Die Nudeln machen satt und geben Energie, die Tomatensoße hat einen fruchtigen, leicht süßlichen Geschmack. Nach und nach können Sie hier verschiedene Gemüsesorten ergänzen. Meistens wird dies von den Kindern sehr gut akzeptiert.

Natürliche Geschmacksvorlieben – genetische Schutzfunktionen des Körpers

Um sich vor giftigen Nahrungsmitteln zu schützen, verfügt der Mensch über angeborene Schutzprogramme. Er lehnt bittere und saure Lebensmittel zunächst ab. Giftige Lebensmittel sind schließlich häufig bitter oder werden durch Verderben sauer. Süßes wird bevorzugt, da dies in der Natur nicht giftig ist. Zudem ist die Süße ein Zeichen für schnelle Energie in Form von Kohlenhydraten bzw. Zucker. Süße Lebensmittel aktivieren deshalb das Belohnungssystem in unserem Gehirn, was die positive Prägung verstärkt.

Ein Argument für Süßigkeiten ist dies jedoch nicht, denn Lebensmittel wie Vollkornprodukte oder Kartoffeln liefern uns heutzutage ausreichend Energie in Form von Kohlenhydraten. Verzehren Kinder im jungen Alter regelmäßig Süßigkeiten, zuckerhaltige Fruchtjoghurts oder Müslis und gesüßte Getränke, gewöhnen sie sich an den süßen Geschmack. Dadurch steigt die Reizschwelle für die Geschmacksqualität „süß“ an. Natursüße Lebensmittel schmecken dadurch irgendwann fade, und Kinder lehnen schwach gesüßte Lebensmittel schließlich ab.

Genetische Schutzprogramme sind heutzutage nicht mehr überlebenswichtig

Mit der Erweiterung des Speiseplans lernt ein Kind immer mehr Geschmacksrichtungen kennen. Je gemischter das Lebensmittelangebot, desto mehr Geschmacksvielfalt und desto größer das Spektrum an Konsistenzen. An diese neuen und komplexen Sinneseindrücke muss sich ein Kind erst gewöhnen. Einige Kinder lehnen unbekannte Lebensmittel daher zunächst ab (Neophobie). Dies ist normal: Sie sind vorsichtig und können noch nicht einschätzen, ob ein für sie neues Lebensmittel giftig sein könnte. Dennoch sollten Sie weiterhin eine Vielfalt an Lebensmitteln anbieten und selbst verzehren und vorleben, damit die Akzeptanz aufgebaut werden kann.

Idee GlühlampeVersuchen Sie Kinder nicht mit den Argumenten "gesund" und "ungesund" davon zu überzeugen, etwas zu essen oder nicht zu essen.

Ein Kind schiebt einen Teller mit Gemüse von sich weg
Foto: Freepik

Eine Verhaltensweise, die einigen vielleicht zunächst paradox erscheint, ist ebenfalls nicht untypisch. Plötzlich lehnt ein Kind ein Nahrungsmittel ab, das es kennt und bislang immer gern gegessen hat. Hier meldet sich erneut ein Schutzprogramm unseres Körpers: die spezifisch-sensorische Sättigung. Sie ist der Schutz davor, sich zu einseitig zu ernähren.

Wir kennen das mitunter auch selbst: Man mag ein Lebensmittel gerne, doch irgendwann ist es nicht mehr so reizvoll. Oder der Gemüseauflauf schmeckt am zweiten oder dritten Tag in Folge nicht mehr ganz so gut wie am ersten. Reagieren Sie bei Kindern darauf bestenfalls ohne Kommentar, nutzen Sie Ihre Chance und bieten Sie andere Lebensmittel an.

Gut zu wissen: Prozesse beim Essenlernen

  • Bis zum Alter von etwa 2 Jahren: "Ich verlasse mich auf meine Eltern oder Bezugspersonen." Kinder haben erst einen geringen Erfahrungsschatz und verlassen sich deshalb darauf, dass ihre nächsten Beziehungspersonen sie gut und sicher versorgen. Daneben haben sie aufgrund ihrer geringen Selbstständigkeit noch keine Möglichkeit, gut für sich auszuwählen. Sie sind darauf angewiesen, dass andere Personen für sie entscheiden.
  • Ab etwa 2 Jahren: "Ich möchte es alleine machen." Dadurch lernt ein Kind, sich zunehmend auch auf sich selbst zu verlassen. Es probiert aus und lernt, welche Lebensmittel es als sicher empfindet.
  • Bis etwa 3 Jahre: "Ich habe Angst vor Unbekanntem." Dies ist ein Schutzprogramm des Körpers, um uns vor der Aufnahme giftiger Speisen zu schützen. Die Kinder werden selbstständiger, deshalb müssen sie auch vorsichtiger werden und sich an die neue Freiheit erst herantasten. Eine verlässliche Beziehung zwischen Betreuungsperson und Kind ist daher umso wichtiger, damit ein Kind sich sicher genug fühlt, um neue Lebensmittel zu probieren.

Schöne Ess-Situationen sind die Grundlage für gute Esser

Kinder benötigen manchmal mehrere positive Erfahrungen mit einem Lebensmittel, bis sie bereit sind, es zu probieren. Sie lernen Lebensmittel zunächst durch Ansehen, Riechen und durch die Beobachtung anderer Kinder und Erwachsener beim Essen kennen. Diese Kontakte sind wichtig, damit Kinder sehen, dass ein für sie neues Lebensmittel sicher, also ungiftig, ist. Das Schmecken kommt hierbei erst ganz zum Schluss. Der sogenannte Mere-Exposure-Effekt zeigt, dass mehrmalige Kontakte über die verschiedenen Sinne schließlich die Bereitschaft auslösen, ein Lebensmittel zu akzeptieren und eventuell auch zu probieren.

Wichtig ist dabei immer die entspannte und zwanglose Atmosphäre und keinerlei Druck. Vorsichtige Kinder können Stück für Stück durch eine positive Atmosphäre an Neues herangeführt, zum Probieren animiert werden und sich schließlich an neue Geschmäcker gewöhnen.

Tipp: bieten Sie neue, unbekannte Lebensmittel immer mal wieder, ganz ohne Zwang, an, indem Sie diese einfach bei einer Mahlzeit mit auf den Tisch stellen. Probieren Sie diese selber, sprechen Sie darüber, was Sie schmecken, und versuchen Sie dadurch, Neugierde zu wecken. Wichtig hierbei ist, dass das Verzehren des neuen Lebensmittels nur ein Angebot und kein Muss für das Kind ist. Das Ablehnen einer Speise, ohne diese vorher gegessen zu haben, ist vollkommen ok. Auch Erwachsene entscheiden darüber selbst und mögen manche Speisen noch nicht einmal probieren.

 

Erst Sicherheit, dann Vielfalt!

Für das Erlernen eines ausgewogenen Essverhaltens ist ein abwechslungsreiches und vielfältiges Lebensmittelangebot eine gute Grundlage. Dieses lernen Kinder in ihrem eigenen Tempo kennen und bauen ihre eigene Beziehung zum Essen und den Lebensmitteln auf. Lernt ein Mensch bereits früh viele verschiedene Nahrungsmittel in einer positiven Atmosphäre kennen und sieht, wie Gleichaltrige und erwachsene Vorbilder diese Speisen genussvoll verzehren, so nimmt er diese Erfahrungen in sein eigenes Essenskonzept auf. Vor allem bei gesundheitsfördernden Lebensmitteln wie Gemüse, die die angeborene Vorliebe für süß und nahrhaft nicht unbedingt erfüllen, ist die Wahrnehmung von Lust und Genuss bei Vorbildern wichtig. Der Verzehr der kennengelernten Lebensmittel wird zur Normalität: Ein wichtiger Grundstein in der Essbiografie.

Prägung des Geschmacks: Ein Leben lang

Im Laufe des Lebens ändert sich der Geschmack, und die Vorlieben für bestimmte Lebensmittel wechseln von Zeit zu Zeit. Der Rosenkohl, den wir als Kind immer wieder probiert und nicht gemocht haben, schmeckt uns als Erwachsener dann vielleicht doch. Genauso, wie Lebensmittel im Urlaub ein Genuss sind, schmecken sie zumeist zuhause ganz anders und bei weitem nicht mehr so intensiv. Dies zeigt, dass auch die Essatmosphäre einen starken Einfluss auf Genuss und Geschmack hat.

Essen in Gemeinschaft schmeckt – und will gelernt sein

Kinder lernen im Miteinander sehr viel. Essen ist ein Grundbedürfnis, deckt unser Bedürfnis nach Nährstoffen, aber auch nach Beziehung und Wohlbefinden ab. Wenn wir essen, reagiert unser Nervensystem mit Entspannung und erzeugt Zufriedenheit. Gemeinsam zu essen, ist Teil aller Kulturen und fördert unser Zusammenleben und unsere Beziehungen untereinander.

Mit dem ersten Geburtstag wird aus dem Säugling ein Kleinkind. Dieses kann selbstständig mit seinen Händen, mit Löffel oder Gabel und Becher Nahrung und Flüssigkeit zum Mund führen. Im Gegensatz zur Stillzeit wird es in dieser Phase der „Ich“-Findung wichtig, mit dem Kind den Bedürfnisaufschub zu üben: In Gruppenkontexten, in der Kindertagespflege oder in der Kita, aber auch zuhause, gibt es Essenszeiten, die für alle gleichermaßen gelten. Das Kind lernt zu warten, obwohl es Hunger verspürt. Dies ist Basis für gelungene Mahlzeiten in sozialen Umgebungen und ein wichtiger Entwicklungsschritt für Kinder. In dieser Phase sollte deshalb nicht immer unmittelbar auf das Bedürfnis des Kindes reagiert werden.

Zusammen zu essen ist ein Teil jeder Kultur

Alle Kulturen kennen Familienfeste, wo man mit vielen Menschen in guten Beziehungen zusammen beim Essen sitzt. Es gibt traditionelle Gerichte, die zu bestimmten Anlässen verzehrt werden. Auch das prägt die Wahrnehmung bestimmter Lebensmittel und Speisen. Gute Beispiele hierfür sind religiöse Feste und Traditionen, wie Weihnachten oder das Zuckerfest, an denen ein großes Festmahl im Mittelpunkt steht. Aber auch jeder (Kinder-) Geburtstag ist ein besonderer Tag mit zumeist außergewöhnlichen Speisen.

Jede Familie kocht anders: Gewisse Gemüse- und Obstsorten werden bevorzugt, traditionelle Gewürze kommen in der täglichen Küche zum Einsatz. Einige Familien verzichten auf Fleisch, bei anderen gibt es ganz verschiedene Fleischsorten. Es gibt unterschiedliche Mahlzeitentraditionen und -rituale, und je nach Kultur unterscheidet sich vielleicht auch das Essbesteck. Tatsächlich wird in den meisten Ländern mit den Händen gegessen. Am zweithäufigsten werden Stäbchen genutzt, und erst an dritter Stelle steht die Gruppe von Ländern, in denen mit dem Besteck gegessen wird, wie wir es kennen.

Am Betreuungstisch kommen Kinder mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen rund um das Essen und mit verschiedenen Essgewohnheiten zusammen. In der Lebenswelt der Kindertagesbetreuung lernen sie neue Rituale, andere Geschmäcker und Speisen kennen. Für manches Kind ist der Unterschied zum Essen zuhause vielleicht gar nicht so groß, für ein anderes Kind hingegen schon.

In die Praxis: Die Mahlzeit in der Kindertagesbetreuung

Grundlage für eine gute Beziehung zum Essen ist eine gute Beziehung zu den Personen, die das Kind bei der Ess-Situation begleiten. In der Kindertagesbetreuung ist es deshalb wichtig, die Beziehung der Betreuungskraft zum Kind und zur Ess-Situation sowie das eigene Essverhalten reflektiert zu betrachten.

Praxistipps für eine angenehme Essatmosphäre

  • Kein Druck oder Zwang beim Essen. Jeder darf das Essen, was er oder sie mag, und die Menge selbst bestimmen.
  • Gemeinsame Tischgespräche sorgen für eine schöne Atmosphäre am Esstisch. Sprechen Sie mit den Kindern über alltägliches, aber auch über die Lebensmittel oder über die Ess-Situationen zuhause. Vermeiden Sie dabei jedoch die Begriffe „gesund“ und „ungesund“, da dies zumeist abschreckt. „Lecker“ und „gut schmeckend“ ist das Essen.
  • Streitthemen gehören nicht an den Esstisch. Sie verderben die Atmosphäre am Tisch. Das leckerste Essen schmeckt dann nicht mehr so gut.
  • Gemeinsame Rituale der Mahlzeit stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl. Ein gemeinsamer Tischspruch leitet die Mahlzeit gut ein, und das gemeinsame Abräumen und Saubermachen schließen die Ess-Situation ab.
  • Der Einsatz von sogenannten „Ankerlebensmitteln“ kann die Mahlzeitensituation entspannen. Das sind Grundnahrungsmittel, die ein Kind kennt und mag. Sollte es die angebotenen Speisen nicht essen (wollen), kann es auf dieses Lebensmittel zurückgreifen und bleibt nicht hungrig. Ein Ankerlebensmittel gibt dem Kind somit Sicherheit in neuen Ess-Situationen oder wenn unbekannte Lebensmittel angeboten werden. Ein Ankerlebensmittel kann für jedes Kind individuell ein anderes sein. Typische Ankerlebensmittel sind Vollkornbrot, Vollkornnudeln, Kartoffeln oder bekannte Obst- oder Gemüsesorten.

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