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Melatonin-Einschlafspray als Nahrungsergänzung?

Stand:
Im Fernsehen wird häufig für Dr. Theiss Einschlafspray mit Melatonin geworben. Ist das wirklich eine Nahrungsergänzung? Und kann es durch die Verwendung von Melatonin zu unerwünschten Wirkungen kommen?
Off

Frage

Im Moment wird im Fernsehen sehr intensiv für Dr. Theiss Einschlafspray mit Melatonin geworben. Ist das wirklich eine Nahrungsergänzung?

Antwort

In welcher Form ein Hersteller ein Produkt auf den Markt bringt, ist seine Entscheidung, sofern er sich an die gesetzlichen Rahmenbedingungen hält. Grundsätzlich gehören Nahrungsergänzungsmittel zu den Lebensmitteln, sie dürfen keine arzneiliche Wirkung entfalten. Nahrungsergänzungsmittel müssen nur angezeigt werden, eine behördliche Prüfung vor dem ersten Verkauf ist nicht vorgesehen. Es ist weder ein Wirksamkeitsnachweis nötig, noch müssen mögliche Wechsel- oder Nebenwirkungen angegeben werden. Allerdings darf die Werbung auch nicht irreführend sein.

Durch den einen Doktortitel enthaltenden Produktnamen in Verbindung mit der Darreichungsform als Spray könnte das Produkt möglicherweise bei dem/der einen oder anderen den Eindruck eines Arzneimittels erwecken. Auch der Zweck / die Indikation - zum leichteren Einschlafen zu verhelfen - könnte mehr als ein Lebensmittel vermuten lassen. Die versprochene Wirkung dürfte gegeben sein, denn es gibt eine zugelassene gesundheitsbezogene Aussage „Melatonin trägt dazu bei, die Einschlafzeit zu verkürzen“. Bedingung dafür: Die Angabe darf nur für Produkte verwendet werden, die 1 mg Melatonin je angegebener Portion enthalten. Zusätzlich müssen die Verbraucher:innen darüber unterrichtet werden, dass sich die positive Wirkung einstellt, wenn kurz vor dem Schlafengehen 1 mg Melatonin aufgenommen wird. Allerdings bedeutet ein erlaubter Health Claim nicht zwangsläufig, dass auch die Zutat Melatonin in Lebensmitteln legal ist.

Melatonin ist nämlich ein körpereigenes Hormon, kein Nährstoff im üblichen Sinne. Es steuert unter anderem den Tag-Nacht-Rhythmus und wird im Körper aus dem Nervenbotenstoff Serotonin (im Volksmund „Glückshormon“) gebildet. Serotonin ist z.B. in Walnüssen und Bananen enthalten.

Melatonin gibt es in Deutschland auch als verschreibungspflichtiges Medikament, zugelassen zur kurzfristigen Behandlung einer nicht auf anderen Erkrankungen beruhenden Schlafstörung bei Patienten über 55 Jahren mit einer empfohlenen Dosierung von 2 mg pro Tag. (Melatonin wird aber nicht grundsätzlich zur Behandlung von Schlafstörungen empfohlen.) Für die doppelte Menge Melatonin gibt es also eine arzneiliche (pharmakologische) Wirkung. Die Einschlafzeit verkürzt sich laut Stiftung Warentest (2021) um durchschnittlich knapp zehn bis höchsten 20 Minuten.
Ob Melatonin in einer Dosierung von >0,5-1 mg/Portion daher als Zutat in Lebensmitteln verwendet werden darf, ist seit vielen Jahren juristisch umstritten. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte und das Bundesinstitut für Risikobewertung sahen Präparate mit einer Tagesdosis > 0,5 mg in einer gemeinsamen Presseerklärung bereits 1996 als zulassungspflichtige Arzneimittel. Verschiedene Gerichte sind zu unterschiedlichen Auffassungen gelangt.

Diese Situation haben Hersteller genutzt und Fakten geschaffen. Am Markt gibt es daher eine ganze Reihe von Nahrungsergänzungsmitteln mit Melatonin (oder Melatonin-Vorstufen wie Tryptophan und 5-Hydroxytryptophan/5-HTP) in unterschiedlichen Darreichungsformen (Kapseln, Tropfen, Spray, sogar Gummibärchen, Kaugummi und Tee), die als Einschlafhilfe dienen sollen. Die Dosierung ist höchst unterschiedlich, sie liegt meist zwischen 0,5 und 1,5 mg/Tagesdosis. Da es aktuell keine Höchstmengen für Melatonin in Nahrungsergänzungsmitteln gibt,  lassen sich aber auch Produkte mit bis zu 10 mg/Tag finden, also dem Fünffachen der in verschreibungspflichtigen Arzneimitteln enthaltenen Tagesdosis! Für die Sicherheit ist alleine der Hersteller verantwortlich...

Andere Anbieter werben auch mit positiven Effekte bei Verdauungsproblemen und einem verminderten Krebsrisiko. In einem Fall (More Nutrition More Sleep) ist der Verbraucherzentrale Bundesverband juristisch dagegen vorgegangen. Die Klage endete mit einem Anerkenntnisurteil.

Melatonin ist als Antioxidans in Lebensmitteln enthalten, allerdings nur in sehr geringen Mengen. Damit eine Zutat als Nahrungsergänzung gelten kann, sollte die benötigte Menge auch mit normalen Mengen normaler Lebensmittel erreichbar sein. Der Verzehr von 5 kg Bananen beispielsweise wäre keine normale Menge mehr. In einem 2017 von Behördenseite beauftragten Gutachten zu Pistazien, welche immer wieder als sehr melatoninreich (angeblich bis zu 23 mg/100 g) angeführt werden, konnte bei einer Nachweisgrenze von 55 ng/g kein Melatonin nachgewiesen werden. Seriöse Übersichtstabellen über den Melatonin-Gehalt von Lebensmitteln gibt es unseres Wissens nach nicht, wohl einige Untersuchungen.

Da die Lebensmittelmittelüberwachung Ländersache ist, ist es bei der derzeitigen rechtlichen Lage immer eine sehr aufwändige Einzelfallentscheidung, ob ein Melatonin-Produkt als Nahrungsergänzungsmittel zulässig ist. Kommt es zu einer juristischen Auseinandersetzung darüber, ist das Produkt bis zu einem abschließenden gerichtlichen Urteil verkehrsfähig. Das Problem ist die fehlende Rechtsgrundlage, wie es Positiv- oder zumindest Negativlisten leisten könnten. Außerdem sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Nahrungsergänzungsmittel nach Auffassung der Verbraucherzentralen unzureichend.

Achtung: Es sind Wechselwirkungen mit Medikamenten möglich, u.a. Blutverdünnern oder Östrogenen (in der "Pille" oder Hormonersatzpräparaten). Außerdem können Laborwerte zur Blutgerinnung beeinflusst werden. Holen Sie sich sicherheitshalber vor der Verwendung eines Melatonin-Produkts ärztlichen Rat bzw. fragen in Ihrer Apotheke, wenn Sie Medikamente nehmen. Wenn Sie an hormonsensitiven Krebserkrankungen (z.B. Brust- oder Prostatakrebs) leiden oder litten, sollten Sie Melatonin keinesfalls ohne Rücksprache verwenden. Gleiches gilt bei Kinderwunsch, für Schwangere und Stillende. Weitere Informationen bekommen Sie auf dieser Seite im Abschnitt "Melatonin".

Kinder sollten keinesfalls Melatonin (auch nicht in Gummibärchen-Form) ohne kinderärztliche Anweisung bekommen. Aus den USA wird über mehrere Todesfälle im ersten bis zweiten Lebens­jahr im zeitlichen Zusammenhang mit Melatonin-Überdosierungen berichtet. Außerdem könne bei Jugend­lichen der Pubertätseintritt durch längerfristige Melatoningaben beeinflusst werden.

Melatonin kann den eigenen Schlafrhythmus negativ beeinflussen, als weitere Nebenwirkungen sind Erschöpfung, Benommenheit, Schwitzen, Kopfschmerzen, Schwindel oder Übelkeit bekannt.

Nach der Verwendung des Produkts dürfen Sie nicht mehr Auto fahren oder Maschinen bedienen!

 

Zum Weiterlesen:

Müdemacher Melatonin. BfR TO GO 1/2024, Juni 2024, S. 18-21

Das Schlaf-Hormon Melatonin und Pistazien: Der Steinfrucht Kern. Stand: 03.01.2024 (zuletzt abgerufen am 26.06.2024)

Melatonin: Tödliche Gummibärchen, DocCheck (zuletzt abgerufen am 26.06.2024)

Viel Melatonin in Pistazien? Fachzeitschrift äußert nach MedWatch-Recherchen Bedenken. Stand: 02.01.2024 (zuletzt abgerufen am 26.06.2024)

Wick ZzzQuil Gute Nacht: Bonbons als „Einschlafhilfe“? Stand: 30.08.2021 (zuletzt abgerufen am 26.06.2024)

 

Quellen:


Verordnung (EU) Nr. 432/2012 der Kommission vom 16. Mai 2012 zur Festlegung einer Liste zulässiger anderer gesundheitsbezogener Angaben über Lebensmittel als Angaben über die Reduzierung eines Krankheitsrisikos sowie die Entwicklung und die Gesundheit von Kindern, Stand: 17.05.2021

Moll D: Erlaubt oder nicht? Melatonin in Nahrungsergänzungsmitteln. DAZ online vom 22.10.2019 (zuletzt abgerufen am 26.06.2024)

BfR: Melatonin als Arzneimittel zulassungspflichtig – Empfehlung der Bundesinstitute erfolgt dosisabhängig! Gemeinsame Presseerklärung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte undes des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin Nr. 13/1996 vom 14.06.1996 (zuletzt abgerufen am 26.06.2024)

Gerichtsverfahren des BVL zu melatoninhaltigen Erzeugnissen – Abgrenzung Lebensmittel / Arzneimittel (zuletzt abgerufen am 26.06.2024)

Hinneburg I: Mit Melatonin gegen den Jetlag. medizin transparent, Stand: 02.11.2020 (zuletzt abgerufen am 26.06.2024)

Xiao Meng et al. (2017): Dietary Sources and Bioactivities of Melatonin. Nutrients 9(4): 367. doi: 10.3390/nu9040367

Tan DX et al. (2014): Melatonin identified in meats and other food stuffs: Potentially nutritional impact. J. Pineal Res. 57: 213–218. doi: 10.1111/jpi.12152

Kirchhoff F et al. (2018): Einsatz von Melatonin bei Kindern mit Schlafstörungen – Stellungnahme der Arbeitsgruppe Pädiatrie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin e.V. (DGSM) (zuletzt abgerufen am 26.06.2024)

Memorial Sloane Kettering Cancer Center: Melatonin. Stand: 30.05.2023 (zuletzt abgerufen am 26.06.2024)

Stiftung Warentest: Medikamente im Test - Hormon Melatonin. Stand: 21.09.2022 (zuletzt abgerufen am 26.06.2024)

Melatonin für Kinder mit Schlafstörungen nur nach Voruntersuchungen verordnen. Ärzteblatt online vom 19.10.2023

Pediatric Melatonin Ingestions — United States, 2012–2021. CDC Morbidity and Mortality Weekly Report 03.06.2022 / 71(22);725–729.

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